„Wie lange brauchst du für einen Beitrag?“ Wer selbst oder als „Ghostwriter:in“ auf LinkedIn tätig ist, kennt diese Frage. Seit Neuestem kann ich sagen: „Manchmal fast zwei Tage.“ Und hinzufügen: "Das ist gut investierte Zeit."
Und um eines klar vorneweg zu sagen: Zwei Tage sind nicht die Norm! In der Regel ist es auch nicht sinnvoll, so viel Zeit zu investieren. Hier hat es sich jedoch gut gefügt – und es ist dabei viel mehr herausgekommen als "nur" ein Beitrag.
Deshalb erzähle ich hier, wie diese Zahl zustande kommt und warum die Zeit gut investiert ist. Gleichzeitig gibt dieser Artikel einen Einblick in meine Texterwerkstatt.
Er zeigt,
Dieser Artikel taucht tief in die Materie ein.
Du bist hier richtig, wenn du an einem konkreten Beispiel erfahren willst, wie Texter:innen denken und arbeiten. Natürlich braucht nicht jeder Beitrag zwei Tage, aber in diesem Fall sind zahlreiche Schritte notwendig, die exemplarisch zeigen, was alles zusammenkommen muss, damit ein Text erfolgreich ist.
Wenn du nicht denn vollständigen Werkstattbericht lesen willst, kannst du das Inhaltsverzeichnis nutzen und direkt in den Abschnitt springen, der dich interessiert.
Jetzt lade ich dich ein, dir ein Glas deines Lieblingsgetränks zu nehmen und schaue mir dabei über die Schulter, zu schauen, wie ich einen außergewöhnlichen Beitrag für LinkedIn schreibe.
Es geht um einen Beitrag im Rahmen meiner Reihe #tippsvomtexter, die ich bei LinkedIn veröffentliche.
📅 Es ist Donnerstag, der 26. Oktober 2023, kurz vor Mittag. Noch fünf Tage bis Halloween
🥱 Normalerweise interessiert mich das nicht die Bohne. Und meine Kunden aus dem B2B-Umfeld auch nicht. Ich finde diesen importierten „Brauch“ höchstens mäßig amüsant und habe ihn entsprechend nicht auf der Agenda meines Redaktionsplans.
⚡️ Doch wie aus heiterem Himmel habe ich einen Gedankenblitz: Wie wäre es, wenn ich die besten Schreibtipps vom Horrormeister Stephen King auf das Schreiben von Business-Texten übertrage?
😃 Die Idee gefällt mir.
Und ich widerstehe meinem ersten Impuls: „Schreib’ einen Blog-Artikel, teasere ihn auf LinkedIn an und verlinke ihn von dort aus.“ Das klingt gut, bringt aber nicht die schnelle Reichweite. Die ist aber bei einem kurzfristigen Ereignis enorm wichtig. Ich kann nicht warten, bis der Artikel bei Google rankt.
Außerdem will ich meine Follower:innen mit einem leicht konsumierbaren „Treat“ unterhalten und ihnen gleichzeitig einen Mehrwert bieten. Der Truthahn – sprich: der ausführliche Artikel – kann später kommen.
Damit ist klar: Die Idee ist etwas für LinkedIn! Dort bin ich gerne aktiv, da ist meine Zielgruppe und ich schätze die Atmosphäre.
Am Anfang steht erst einmal die Formatfrage, denn LinkedIn bietet mehrere Möglichkeiten, Inhalte passend unter die Leute zu bringen. Schau’n wir doch mal, was da infrage kommt:
Ich mag das Format. Viele meiner #tippsvomtexter kommen als Text mit aufmerksamkeitsstarkem Bild. Es eignet sich gut für persönliche Inhalte, Meinungen oder Fachliches. Aber ich habe nur eine Möglichkeit, visuell zu punkten. Für einen Halloween-Beitrag erscheint mir das zu nüchtern. Der Beitrag darf ruhig etwas aus der Reihe flattern 🦇.
Das könnte funktionieren. Aber mit der Visualisierung wird es doch etwas aufwendig. Außerdem gehört Video nicht zu meinen bevorzugten Formaten.
Ein großartiges Format, um mit tiefgründigem Wissen und Expertise zu glänzen. Artikel sind aber eher eine ausführliche Lektüre als schnell konsumierbare Snacks. Sie erhalten weniger Aufmerksamkeit als kürzere Beiträge. Für einen Inhalt mit aktuellem Bezug eignen sie sich nicht.
Gerade für leicht konsumierbaren Content bietet LinkedIn ein passendes interaktives Format an: Den Carousel-Post (auch Slider genannt) – eine mehrseitige PDF-Datei, die man per Klick oder Wischen durchblättern kann.
Dieses Feature steht derzeit hoch im Kurs und sorgt dafür, dass User bei dem angebotenen Content länger verweilen. Ich kann Texte und visuelle Elemente kreativ kombinieren und der Community den perfekten Mix aus Information und Unterhaltung bieten. Wer mag, kann kurz vor einem Meeting, in der Bahn oder an anderen Orten rasch einen „Wissenssnack“ zu sich nehmen.
Das Beste aber ist: Nach den aktuellen Zahlen von @Richard van der Bloom erhält ein Carousel-Post gegenüber einem Text-Bild-Beitrag die 1.4fache Reichweite – vorausgesetzt das Dokument bleibt unter 10 Seiten.
Das ist „mein“ Format! Der Beitrag wird ein PDF-Slider!
Damit ist auch der Umfang grob umrissen. Bei 9 Seiten brauche ich eine Titelseite und eine Seite für die Handlungsaufforderung (Call to Action). Bleiben sieben Seiten für den Inhalt.
„7“ passt perfekt zu Halloween!
Klasse – die Grobstruktur sieht nun so aus:
Gut, das war einfach.
Jetzt geht die Arbeit richtig los: Recherchieren, welche Tipps infrage kommen.
Ich sitze an der Quelle. Aus meinem Bücherregal nehme ich Stephen Kings Memoiren „Das Leben und das Schreiben" (↗︎). Es ist die deutsche Ausgabe von „On Writing - A Memoir of the Craft" (↗︎).
Ich blättere das Buch durch. Es ist voll mit neongelben Markierungen, Anstreichungen und Kommentaren, die ich beim Lesen hinterlassen habe. Da sollte es doch leicht fallen, schnell ein paar Tipps zu finden, oder?
Doch das Buch wimmelt von wertvollen Ratschlägen. Jeder einzelne hätte es verdient, in „meine“ Sammlung aufgenommen zu werden.
Ich möchte mich auf sieben Tipps beschränken. Deshalb brauche ich Kriterien zur Auswahl. Wie bei jedem Text sollen Ziele, Zielgruppe und Absicht den inhaltlichen Rahmen vorgeben.
Ein Tipp von Stephen King muss also folgende Eigenschaften mitbringen, um in meinen Halloween-Beitrag aufgenommen zu werden. Er soll
Ich steige wieder in Kings Buch ein und tauche später mit zehn Ratschlägen im Gepäck wieder auf. Es gut, ein wenig Reserve zu haben.
Glücklicherweise habe ich die englische Ausgabe als E-Book (↗︎). So kann ich die Zitate im Original recht flott identifizieren. Die deutschen und englischen Quellen notiere ich mit Seitenangabe in einem separaten Dokument – ergänzt um ein paar Stichworte mit Stephen Kings Erläuterungen.
Ich will ja das Leben von Menschen erleichtern, die ihre Business-Texte verbessern wollen.
Deshalb entwickle für jeden Tipp eine Idee, wie er in einem B2B-Zusammenhang funktionieren könnte. Dabei merke ich: Zwei Tipps funktionieren nicht in der gebotenen Kürze. Ich verwerfe sie. 🗑️
Da waren’s nur noch acht.
Bei einem Carousel Post ist ein einheitlicher Seitenaufbau vorteilhaft – schon alleine, um Arbeit beim Gestalten zu sparen. Nach einigem Überlegen steht die Struktur der einzelnen Seiten. Es wären auch andere Möglichkeiten in Betracht gekommen, doch diese scheint mir am besten geeignet:
Visualisiert schaut das Ganze so aus:
Juchhu! Endlich kann ich mit dem Schreiben losgehen!
Jetzt zahlen sich die strukturierte Vorarbeiten aus, denn der Text fließt geradezu aus der Tastatur. Ich merke, dass ich im Thema angekommen bin.
Der erste Entwurf steht nach anderthalb Stunden.
😮 Wow! Ich bin schon recht zufrieden mit dem Text, aber …
.
… er hat 1400 Wörter und rund 8000 Zeichen!
.
😳 … er ist viiiiiel zu lang für einen Carousel-Post!
An dieser Stelle habe ich einen Tipp für dich: Widerstehe nach Möglichkeit der Versuchung, einen zu langen Text sofort zu kürzen. Du kannst ihn noch anderweitig verwenden – zum Beispiel für einen Blogbeitrag.
Deshalb darf bei mir der Text jetzt eine inhaltliche Schärfungsrunde drehen. Ich erweitere ihn um einige Aspekte, zu denen ich mir bereits Notizen gemacht habe. Es reicht, diese Punkte grob zu formulieren. Hauptsache, sie gehen nicht verloren.
Für heute ist’s genug.
Morgen darf ich kürzen!
Willkommen an Tag zwei!
Heute geht es darum, eine Kopie des noch recht ausführlichen Entwurfs so einzudampfen, dass sie „Slider-kompatibel“ ist.
Wer beruflich schreibt, weiß, wie zeitaufwendig dieser Prozess sein kann. Der französische Philosoph, Mathematiker und Physiker Blaise Pascal hat es so formuliert:
“Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen."
Nun setzt das Carousel-Format ohnehin enge Grenzen, doch ich habe noch zwei andere Dimensionen zu berücksichtigen:
Es heißt also erst einmal, eine Zielvorstellung davon zu bekommen, wieviel (oder besser: wie wenig) Text es sein darf.
Ich probiere ein wenig mit Canva herum. Das Ergebnis: Pro Seite stehen mir für alle Elemente zusammen höchstens 55 Wörter oder 300 Zeichen zur Verfügung.
Ich frage mich: Ist das zu schaffen, ohne inhaltliche Tiefe zu opfern?
Natürlich muss ich Abstriche machen, doch hier kommt mir meine Erfahrung zugute. Ich habe bereits Anzeigentexte für Printmedien geschrieben. Dort zahlt man für die gebuchte Fläche. Wenn es gelingt, auf einer Viertelseite dieselbe Überzeugungskraft zu entwickeln wie auf einer Drittelseite, sparst du eine Menge Geld.
Deswegen ist der Begriff „eindampfen“ recht treffend: Wie bei einer Sauce gilt es, Überschüssiges loszuwerden und die Inhaltsstoffe zu konzentrieren.
Beim Schreiben vollziehe ich diesen Konzentrationsprozess in zwei Schritten:
Puh, jetzt bin ich inhaltlich und quantitativ schon recht nah an der Zielvorstellung. Wäre der für einen reinen Textbeitrag, dürfte er jetzt ruhen und morgen in die Endkontrolle gehen.
Aber ich will mehr: Einen klickbaren Beitrag, der unterhält und zur Interaktion einlädt.
Das funktioniert nicht ohne Bilder. Deshalb müssen jetzt ein paar witzige und thematisch passende Illustrationen her.
Und zwar für jede Seite.
Auch hier gibt es zwei Randbedingungen. Die Gestaltung muss
In meinem Gehirn formen sich einige Ideen. Es gehört übrigens häufig zu den Aufgaben von Texter:innen, Vorschläge für die Bebilderung eines Textes zu entwickeln. Da ist es hilfreich, ein gutes visuelles Vorstellungsvermögen zu haben und auch das Fachvokabular zu kennen, um eine Grafikerin zu briefen.
Doch heute ist Eigenleistung angesagt, denn die Zeit drängt. Ich groove mich ein und entwerfe mithilfe des KI-gestützten Bildgenerators von Canva einige Motive für das Titelbild.
Auch ein düsterer Hintergrund mit Kürbissen und Fledermäusen für die Folgeseiten ist schnell gefunden.
Jetzt kommt der aufwändigere Teil, nämliche ansprechende Ideen für die Inhaltsseiten zu finden. Ich will zumindest an einigen Stellen Anspielungen auf das Werk von Stephen King einbauen.
⏩️ Schneller Vorlauf.
Und ist schon erstaunlich, wie Canva meine Ideen umsetzt. Manches ist nicht perfekt, aber für Illustrationen eines Beitrages reicht die Qualität allemal.
So finden sich folgende KI-generierte Bilder im Beitrag:
Jetzt habe ich eine Handvoll Illustrationen und (noch) acht Stephen-King-Zitate, die ich irgendwie zusammenbringen will. Manche Zuordnungen drängen sich förmlich auf – zum Beispiel:
“The scariest moment is always just before you start …”
Hier setzt der Begriff „scary“ den Rahmen. Wo geht es mehr um das Thema „Angst“ als in „Es“? Die Seite mit diesem Zitat ziert natürlich eine Karikatur von Gruselclown Pennywise.
Andere Zuordnungen sind schwieriger. Zu
“… to write is human, to edit ist divine.”
fällt – ehrlich gesagt – gerade nichts Passendes ein.
Was nicht passt, wird halt passend gemacht. Ich setze einen kleinen Textertrick ein: Statt zu schreiben „Richtig gut wird er erst, wenn du ihn überarbeitest“ habe ich etwas Magie hinzugefügt: „Richtig gut wird er durch die Magie der Überarbeitung.“
Jetzt drängt sich die Zuordnung auf: Ein Zauberstab steht für die Magie.
Ok, Bilder und Texte passen inhaltlich. Leider will sich der Text nicht immer ins Layout fügen. Deshalb überarbeite ich auf einigen Seiten, um unschöne Trennungen oder Umbrüche zu vermeiden.
An anderen Stellen ist jetzt noch gestalterisches Feintuning notwendig und allmählich bin ich mit dem Ergebnis zufrieden.
Doch etwas fehlte noch …
Richtig – kein Text ohne Handlungsaufforderung (auch liebevoll CTA – Call to Action genannt)!
Schließlich will ich Menschen langfristig davon überzeugen, mit mir zusammenzuarbeiten. Da Anlass und Inhalt des Beitrags im Themenumfeld von Halloween und Gruselliteratur angesiedelt sind, will ich auch den CTA entsprechend formulieren.
An dieser Stelle beschließe ich, das Feedback einer geschätzten Kollegin einzuholen. Ich schicke ihr eine PDF-Datei mit der Bitte um kritische Begutachtung. Ihre Antwort kommt prompt, obwohl es Freitagabend ist.
Sie findet den Beitrag gelungen und schenkt mir noch zwei Verbesserungshinweise.
Jetzt darf der Post erst einmal eine Nacht liegen bleiben. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, jeden Text mindestens 24 Stunden ruhen zu lassen, bevor er einen letzten Korrekturlauf erfährt. Damit schaffe ich ein wenig Distanz und mehr Aufmerksamkeit für den finalen Feinschliff. Erst dann ist er bereit, um veröffentlicht oder an den Auftraggeber verschickt zu werden.
Im Fall des Stephen-King-Beitrags sind noch ein paar Kleinigkeiten zu korrigieren. Morgen darf er raus.
☑︎ Kurzer Blick auf die Checkliste. Ich schreibe ein paar einleitende Worte für das Textfeld bei LinkedIn. Schließlich soll die Klickstrecke nicht kommentarlos erscheinen.
Ich kopiere den Einleitungstext in AuthoredUp, hübsche ihn ein wenig auf, lade die PDF-Datei mit der Klickstrecke hoch und plane den Beitrag für den 31.10. um 8:30.
Tadaaa! Und hier ist er:
Puh!
Das war eine Menge Arbeit! Mehr, als ich anfangs erwartet hatte, aber in einer erwartbaren Größenordnung. Da ich gerne die Zeiten für einzelne Aktivitäten festhalte, konnte ich schnell zusammenrechnen, wie viel ich in diesen Beitrag investiert hatte.
Ich teile meine Schreibtätigkeiten meist in fünf Kategorien ein:
Die Aufwände teilen sich folgendermaßen auf:
Am Ende steht die stolze Summe von 15 Stunden Arbeitszeit für den kompletten Beitrag.
What – 15 Stunden für einen LinkedIn-Post mit 405 Wörtern?
Zunächst einmal erscheint das viel Zeit. Ich habe einige Kolleg:innen vom Fach gefragt, wie sie den Aufwand schätzen. Eine Person lag mit 12 Stunden knapp darunter, die anderen haben teilweise deutlich höhere Aufwände vermutet.
Fazit: Mit 15 Stunden war ich sogar recht flott!
Die andere Frage ist: Was hat’s gebracht?
Nach einer Woche habe ich Bilanz gezogen: Der Beitrag erzielte eine dreifach höhere Reichweite als meine vorhergehenden Beiträge!
Ich messe Erfolg nicht nur an der Reichweite eines Beitrags, sondern sehe ihn als Teil einer langfristigen Strategie. Auch in dieser Hinsicht war es eine gute investierte Zeit, denn das Ergebnis war weit mehr als nur dieser eine Beitrag.
Als Ergebnisse liegen nun vor
Der Beitrag hat mir eine Menge Spaß bereitet und durfte mich einmal richtig austoben. Und die Ergebnisse waren mehr als zufriedenstellend.
Zum Standard möchte ich dieses Vorgehen nicht erheben und auch niemandem empfehlen. Ein oder zweimal im Jahr ist der Aufwand vertretbar, denn es fallen noch einige „Goodies“ dabei ab.
Für den nächsten Beitrag habe ich übrigens nur eine halbe Stunde gebraucht – es war eine einfache Umfrage.
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Hier schreibe ich über das Schreiben (oft, aber nicht nur, für Technologieunternehmen), Content-Strategie und Social Media Management. Weil einige Artikel konkrete Fragen beantworten, die mir nahestehende Menschen gestellt haben, werden Sie manchmal geduzt.
Franz Roland Jany
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